Die Babyboomer gehen in Pension: Welche Auswirkungen hat das auf den Schweizer Arbeitsmarkt? - ostjob.ch
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Die Babyboomer gehen in Pension: Welche Auswirkungen hat das auf den Schweizer Arbeitsmarkt?

Veröffentlicht am 11.03.2022 von Henrik Jasek, Leiter ostjob.ch - Bildquelle: Getty Images
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Die geburtenstarken Jahrgänge - das sind die in den Fünfziger- und Sechzigerjahre Geborenen werden in den nächsten Jahren in Pension gehen. Welche Auswirkungen dieser demografische Wandel für den Schweizer Arbeitsmarkt hat, war Gegenstand eines vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützten Forschungsprojektes. Wer daran teilnahm, welche Branchen besonders betroffen sind und warum - das und mehr erfahren Sie hier!
Die Rahmenbedingungen des Forschungsprojektes
 
Kontaktiert wurden insgesamt 5000 Unternehmen aus allen Branchen des sekundären und tertiären Sektors in der deutschen, der französischen und in der italienischen Schweiz, von denen 695 Rückmeldung gaben. Um die Daten entsprechend auszuwerten, wurden die Unternehmen nach Branchenzugehörigkeit zusammengefasst in das Baugewerbe, das Gesundheitswesen, die IT-Branche, die Industrie, die Branche "Handel, Verkehr und Lagerei" sowie in die Sammelkategorie "sonstige Dienstleistungen".
 
Um das Ausmass der vom demografischen Wandel betroffenen Unternehmen ermitteln zu können, wird es in einem Index abgebildet, der sechs Komponenten berücksichtigt, nämlich den aktuellen Mangel an Fachkräften, das Alter der Beschäftigten, die Ausbildung von Nachwuchs sowie die Digitalisierung und Automatisierung, die möglicherweise wegfallende Arbeitskräfte ersetzen können. Berücksichtigt werden ausserdem die Abhängigkeit vom Ausland beziehungsweise die Notwendigkeit, ausländische Arbeitskräfte zu rekrutieren, sowie die Substituierbarkeit. Sie bezeichnet den Aufwand, der erbracht werden muss, um eine Arbeitskraft aus einem niedrigen Kompetenzniveau unternehmensintern für einen qualifizierteren Arbeitsplatz auszubilden.
 
Das Kompetenzniveau bezeichnet das jeweilige Ausbildungsniveau:

 
  • Kompetenzniveau 1 werden vor allem akademische Fachkräfte zugeordnet, zum Beispiel Mediziner, Betriebswirtschaftler und Naturwissenschaftler.
  • Kompetenzniveau 2 bezeichnet spezialisierte Fachkräfte, die auch praktische Tätigkeiten ausüben, zum Beispiel ingenieurtechnische Fachkräfte.
  • Kompetenzniveau 3 umfassen die einfacheren praktischen Berufe, die regelmässig einer mehrjährigen Ausbildung bedürfen, zum Beispiel kaufmännische Berufe und Pflegeberufe.
  • Kompetenzniveau 4 werden vor allem Hilfsarbeitskräfte zugeordnet, die über keine, eine kurze oder über keine spezialisierte Ausbildung verfügen.
 
Dringend gesucht: Handwerker, Ärzte und Chirurgen

 
Um vergleichbare Werte zu erhalten, wurde für jede der genannten sechs Branchen und für jedes Kompetenzniveau ein Indexwert errechnet, der zwischen 0 und 100 liegt, wobei der Wert 100 die höchste Betroffenheit vom demografischen Wandel darstellt.
 
Als Ergebnis hat das Forschungsprojekt diese Werte hervorgebracht:

 
  • Am schlechtesten schneidet das Baugewerbe mit einem Wert von 49 Punkten ab, wobei das Kompetenzniveau 3 den höchsten Indexwert aufweist. Es fehlt vor allem an Nachwuchskräften im Handwerk, da sich junge Menschen bevorzugt für andere Branchen entscheiden. Ein weiteres Problem ist, dass die Ausbildung von ausländischen Arbeitskräften in ihrem jeweiligen Heimatland nicht dem Ausbildungsniveau in der Schweiz entspricht. So kommt es, dass die Abschlüsse meist nicht anerkannt werden und ausländische Arbeitskräfte deshalb als Hilfskräfte auf dem Bau arbeiten.
  • Auch das Gesundheitswesen leidet mit 47 Punkten an einem akuten Fachkräftemangel, von denen die ersten drei Ausbildungsstufen betroffen sind. Es sind vor allem Ärzte und Chirurgen, die Mangelware sind, gefolgt von Fachangestellten auf Kompetenzniveau 2 und Pflegeberufen auf Kompetenzniveau 3. Tatsächlich liegen die Ursachen des Fachkräftemangels im Gesundheitswesen vor allem in der Politik, die durch strikte Regulierungen die Weichen falsch gestellt hat. Ein weiterer Grund für den Bedarf an Fachkräften im Gesundheitswesen ist, dass die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen permanent steigt.
  • Tiefere Werte weist die Industrie auf, die jedoch auf Kompetenzniveau 3 einen erhöhten Bedarf an Fachkräften hat. Das sind vor allem Mittelqualifizierte, bei denen durch den demografischen Wandel eine Lücke klafft.
  • Zufriedenstellende Werte hat die Branche Handel, Verkehr und Lagerei in den ersten beiden Kategorien, während das Kompetenzniveau 3 einen höheren Indexwert aufweist.
 
Weniger bedroht vom demografischen Wandel ist die IT-Branche. Sie hat einen Indexwert von 42 Punkten und erzielt insbesondere bei den Kompetenzniveaus 3 und 4 sehr gute Werte. Mögliche Gründe sind das niedrige Durchschnittsalter, sodass diese Branche weniger vom Weggang der Babyboomer betroffen ist. Hinzu kommt die Flexibilität dieser Branche, die durch die Digitalisierung und interne Schulungen für den demografischen Wandel gewappnet ist. Bei der heterogenen Sammelkategorie fällt es schwer, die Situation der sonstigen Dienstleistungen zuverlässig zu beurteilen.
 
Festzuhalten ist, dass der Arbeitsmarkt in der Schweiz aufgrund des demografischen Wandels vor einer grossen Herausforderung steht. Es sind vor allem die klassischen Handwerksberufe des Baugewerbes sowie das Gesundheitswesen, die entsprechende Massnahmen ergreifen müssen. Auch die Politik ist aufgefordert, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, zum Beispiel mehr Medizinstudienplätze anzubieten.